Wie entgegnet man der Behauptung, der Qurânvers „Wissen denn nicht diejenigen, die glauben (…)” sei entstellt?

2-12-2020 | IslamWeb

Frage:

Es geht um den Vers: „Wenn es auch einen Qurân gäbe, mit dem die Berge versetzt oder die Erde in Stücke gerissen oder zu den Toten gesprochen werden könnte (...) (würden sie doch nicht glauben). Nein! Vielmehr steht die Angelegenheit ganz bei Allâh. Wissen denn nicht diejenigen, die glauben, dass wenn Allâh wollte, Er die Menschen wahrlich alle rechtleiten würde? Diejenigen, die ungläubig sind, wird immer wieder ein Verhängnis treffen für das, was sie gemacht haben, oder es wird in der Nähe ihrer Wohnstätten geschehen, bis Allâhs Versprechen eintrifft. Gewiss, Allâh bricht nicht, was Er versprochen hat” (Sûra 13:31).
Im Arabischen ist „lau“ (wenn) eine Konditionalpartikel, die mit einem Hauptsatz und einem Nebensatz verbunden sein sollte. Zum Beispiel: „Wenn (lau) er in Bedächtigkeit handelt, so würde er es nicht bereuen“. Doch in dem zitierten Vers finden wir einen Nebensatz („Wenn es auch einen Qurân gäbe, mit dem die Berge versetzt oder die Erde in Stücke gerissen oder zu den Toten gesprochen werden könnte…“), ohne dass ein Hauptsatz auf diese Bedingung folgt.
Außerdem müsste das Wort „yai’as“ korrekterweise „ya’nas“ heißen. Denn Letzteres bedeutet „wissen” oder „kennen“. Daher sagt man im Arabischen: “Wer in sich die Fähigkeit kennt (ya’nas), der soll diese Aufgabe übernehmen.” Auf diese Weise würde der Vers diese Bedeutung bekommen: „Wissen denn nicht diejenigen, die glauben, dass wenn Allâh wollte, Er die Menschen wahrlich alle rechtleiten würde?”

Antwort:

Der Lobpreis gebührt Allâh und möge Allâh Seinen Gesandten sowie dessen Familie und Gefährten in Ehren halten und ihnen Wohlergehen schenken!

 

Die Frage enthält zwei unterschiedliche Themen. Als erstes handelt es sich um eine Frage der Auslegung:

1) Bei Konditionalsätzen mit „lau“ kann der zweite Teil entfallen und muss als Auslassung (Ellipse) hinzugedacht werden. Nach einigen wäre dies „dann wäre es dieser Qurân“, nach anderen „dann würden sie trotzdem nicht glauben“. Eine solche Ellipse des zweiten Satzteils (der sog. Antwort eines Konditionalsatzes) ist in der arabischen Sprache weit verbreitet, wenn der Zusammenhang darauf verweist. Der Gelehrte As-Schanqîtî schreibt dazu in „Al-Adwâ“: „Die Antwort auf „lau“ ist in diesem Vers ausgelassen. Manche Gelehrte haben ihn ergänzt als ‚dann wäre es dieser Qurân‘, andere mit den Worten ‚so würdet ihr trotzdem den Allerbarmer ableugnen‘. Für die zweite Ansicht spricht der Vers zuvor, wo es heißt ‚und doch verleugnen sie den Allerbarmer‘ (Sûra 30:13). Bei der Erklärung der Sûra Baqara haben wir bereits Belegstellen für die Ellipse bei „lau“ angeführt. In Sûra Yûsuf haben wir darauf hingewiesen, dass im Arabischen gewöhnlich die ausgelassene Antwort in einem Konditionalsatz von der gleichen Art zu sein hat wie der Inhalt der Bedingung. Somit verweist der erste Teil des Satzes auf den zweiten Teil.“

 

2) Die zweite Frage dreht sich um die Bedeutung des Wortes „yai’as“. Dieses Wort bedeutet an dieser Stelle tatsächlich „wissen“ und somit liegt kein Schreibfehler vor und auch keine Entstellung des Textes – Allâh behüte! Die Verwendung des Wortes „yai’as“ für „wissen“ ist im Arabischen nicht ungewöhnlich, sondern weit verbreitet. Al-Alûsî erklärt dies auf diese Weise und beruft sich auf Al-Qâsim ibn Ma‘n, der dies als Mundart des Stammes der Hawâzin bezeichnet. Nach Ibn Al-Kalbî ist es der Dialekt einer Untergruppe des Stammes der Nacha‘. In einem Gedicht des Suhaim ibn Wathîl Ar-Riyâhî heißt es: „Und ich sage ihnen, wenn sie mich im Tal gefangen nehmen: ‚Wisst ihr nicht (tai’asû), dass ich der Sohn des Reiters von Zuhdum bin?‘“

 

Bei Rabâh ibn Adî heißt es: „Wissen (yai’as) denn die Menschen nicht, dass ich sein Sohn bin … auch wenn ich bedrückt bin (entfernt) vom Land der Herkunft!“

 

Was die Behauptung anbelangt, dass es sich um eine Verfälschung des Textes handle, wurde dies auch in alter Zeit von islâmfeindlichen Personen vorgebracht und von den Gelehrten widerlegt. Abû Hayyân schreibt in seinem Werk „Al-Bahr“: „Was die Behauptung anbelangt ‚Der Qurânschreiber war unachtsam und hat die Bögen des Buchstabens Sîn undeutlich geschrieben‘, so ist das das Wort eines Ketzers und Gottesleugners.“ Az-Zamachscharî sagte: „So etwas und Ähnliches kann für das Wort Allâhs nicht bestätigt werden, denn das Nichtige nähert sich ihm weder von vorne noch von hinten. Wie hätte so ein Fehler verborgen und bestehen bleiben können in den autoritativen Ausgaben, während es gleichzeitig ständig gelesen wurde von Gelehrten, die für ihre Achtsamkeit und ihre Sorge für die Religion Allâhs bekannt waren! Diesen entging nichts, weder Großes noch Kleines, besonders wenn es sich um die Hauptquelle des Islâms handelt, auf die man ständig Bezug nimmt, und die Grundlage, auf der alles aufgebaut ist. Dies wäre zweifellos eine Unterstellung.“

 

Wenn man den Vers genauer betrachtet, so wird die Bedeutung klar. Wir möchten dich darauf hinweisen, dass aus deiner Frage hervorgeht, dass du offensichtlich zu Zweifeln neigst und viel darüber liest und nachdenkst. Natürlich gehen wir von dem Besten in deinem Falle aus. Wir möchten dir dringend anraten, dich von diesem gefährlichen Weg fernzuhalten, da es sein kann, dass man dies eines Tages gutheißt und somit vom klaren Weg des Islâms abkommt. Bemühe dich um nutzbringendes Wissen und halte Abstand von Zweifelhaftem. Die Herzen sind schwach und die Zweifel verlockend, so wie es die frühen Gelehrten ausgedrückt haben.

 

Sollte es jedoch sein, dass du selbst diese Zweifel aufbringst – wovor wir Zuflucht suchen bei Allâh – so wisse: Der Qurân ist unvergänglich in seiner Würde und Schönheit, in seiner Pracht und seinem Glanz. Er wird vor jeder Entstellung und Verfälschung bewahrt, egal wie sehr sich manche bemühen, gegen ihn Ränke zu schmieden. Der Qurân wird durch den Schutz Allâhs bewahrt und kein Mensch kann dagegen ankommen. Allâh der Erhabene sagt: „Gewiss, Wir sind es, die Wir die Ermahnung offenbart haben, und Wir werden wahrlich ihr Hüter sein“ (Sûra 15:9).

 

Und Allâh weiß es am besten!

www.islamweb.net