Islam Web

  1. Haddsch & Umra
  2. Artikel
  3. Islâm im Überblick

Das moralische System des Islâm

Das moralische System des Islâm

Der Islâm hat bestimmte allgemeingültige und grundlegende Richtlinien für die gesamte Menschheit aufgestellt, welche unter allen Umständen zu befolgen und zu respektieren sind. Um diese Richtlinien einzuhalten, sieht der Islâm nicht nur die Absicherung durch das Gesetz, sondern auch ein sehr wirkungsvolles moralisches System vor. Demgemäß ist alles, was auch immer zum Wohlergehen des Einzelnen oder der Gesellschaft führt, im Islâm moralisch gut und alles Schädliche moralisch schlecht. Der Islâm misst der Liebe zu Allâh und der Liebe zum Menschen viel Wert bei. Gleichzeitig warnt er davor zuviel auf Äußerlichkeiten zu achten. Wir lesen im Qurân:

 
„Nicht darin besteht die Güte, dass ihr eure Gesichter gegen Osten oder Westen wendet. Güte ist vielmehr, dass man an Allâh, den Jüngsten Tag, die Engel, die Bücher und die Propheten glaubt und vom Besitz - obwohl man ihn liebt - der Verwandtschaft, den Waisen, den Armen, dem Sohn des Weges, den Bettlern und für (den Loskauf von) Sklaven hergibt, das Gebet verrichtet und die Abgabe entrichtet; und diejenigen, die ihre Verpflichtung einhalten, wenn sie eine eingegangen sind, und diejenigen, die standhaft bleiben in Not, Leid und in Kriegszeiten, das sind diejenigen, die wahrhaftig sind, und das sind die Gottesfürchtigen.“ (Sûra 2:177)
 
Uns wird in diesem Qurânvers eine schöne Beschreibung des rechtschaffenen und gottesfürchtigen Menschen gegeben. Er soll zwar wohlergehenbringenden Vorschriften gehorchen, aber seine Aufmerksamkeit soll er auf die Liebe zu Allâh und zu seinen Mitmenschen richten.
 
Wir können vier Hauptpunkte festhalten:
 
a) Unser Bekenntnis soll wahrhaftig und aufrichtig sein.
 
b) Wir müssen es durch hilfreiche Taten anderen gegenüber unter Beweis stellen.
 
c) Sowohl im Gebet als auch in unserer Hilfe für andere sollten wir uns nach Möglichkeit mit Gleichgesinnten zusammentun.
 
d) Unsere Standhaftigkeit und Geduld sollen sich vor allem bei drei Gelegenheiten manifestieren: bei körperlichen Schmerzen oder Leiden, bei jeder Art Not und in Zeiten öffentlicher Drangsal.
 
Das ist der Maßstab, mit dem die einzelnen Verhaltensweisen beurteilt und in gut oder schlecht eingeteilt werden. Dieser Beurteilungsmaßstab bildet den Kern, des gesamten moralischen Verhaltens.
 
Bevor der Islâm irgendwelche expliziten Befehle erteilt, strebt er es an, tief in das Herz des Menschen die Überzeugung einzupflanzen, dass sich sein Tun vor Allâh abspielt, der ihn jederzeit und allerorten sieht; so dass er sich zwar vor allen Menschen verstecken kann, nicht aber vor Allâh; so dass er jeden täuschen kann, niemals aber Allâh; so dass er dem Griff eines anderen entfliehen kann, sich aber Allâh nicht entziehen kann.
 
Dadurch, dass er das Erlangen von Allâhs Wohlgefallen zum Zweck des menschlichen Daseins erklärt, zeigt der Islâm die höchstmögliche Norm sittlichen Verhaltens auf. Dies schafft zwangsläufig eine endlose Zahl von Möglichkeiten der moralischen Entfaltung für die Menschheit.
 
Die Betrachtung der göttlichen Offenbarung als der Hauptquelle des Wissens gibt den moralischen Normen Beständigkeit und Stabilität, wobei zwar ein angemessener Spielraum besteht für mit der Wahrheit im Einklang stehende Bearbeitungen, Anpassungen und Neuerungen, nicht aber für Verdrehungen, willkürliche Veränderungen, aufgelösten Relativismus oder moralische Haltlosigkeit. Der Islâm verschafft in der Liebe zu und in der Furcht vor Allâh eine innere Bindung zu sittlichem Verhalten, was den Menschen antreibt, auch ohne jeglichen Zwang von außen Folge zu leisten. Durch den Glauben an Allâh und an den Tag des Jüngsten Gerichts gewährt der Islâm eine Kraft, die es einem Menschen ermöglicht, sich ernsthaft und aufrichtig, mit tiefer Frömmigkeit des Herzens und der Seele, um sittliches Verhalten zu bemühen.
 
Der Islâm liefert weder irgendeine Art ungewöhnlicher moralischer Tugenden durch ein falsches Konzept von Selbständigkeit und Neuerung, noch sucht er die Bedeutung der allgemein anerkannten moralischen Normen herabzusetzen oder einigen davon übertriebene Bedeutung beizumessen und andere grundlos zu vernachlässigen. Vielmehr greift er alle allgemein anerkannten Tugenden auf und weist jeder von ihnen, mit einem Sinn für Ausgewogenheit und Realität, den passenden Platz und die für sie passende Funktion im gesamten Lebensplan zu. Er erweitert den geistigen Horizont des individuellen und des gemeinschaftlichen Lebens des Menschen - seine häuslichen Beziehungen, sein Verhalten als Mitglied der Gesellschaft und seine Aktivitäten auf politischem, wirtschaftlichem, juristischem, erzieherischem und sozialem Gebiet.
 
 
Der Islâm reicht vom eigenen Heim bis hin zur Gesellschaft, vom Esstisch bis zu den Schlachtfeldern und den Friedenskonferenzen, buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre. Kurz, kein Lebensbereich ist von der allumfassenden Anwendung der islâmischen Moralgrundsätze ausgenommen. Der Islâm gibt dem sittlichen Verhalten die höchste Bedeutung und gewährleistet, dass die Angelegenheiten des täglichen Lebens statt von egoistischen Zielen und nebensächlichen Belangen beherrscht zu sein, durch Moralgrundsätze reguliert sein sollten.
 
Der Islâm sieht für die Menschen eine Lebensweise vor, die auf dem Guten begründet und von allem Übel frei ist. Er veranlasst die Menschen nicht nur tugendhaft zu sein, sondern die Tugend auch durchzusetzen und die Untugend auszurotten; Gutes zu gebieten und Verwerfliches zu verbieten. Nach dem Willen des Islâm soll das Urteil des Gewissens die Oberhand gewinnen. Die Tugend darf nicht unterdrückt werden und damit eine Nebenrolle gegenüber dem Übel spielen. Diejenigen, die diesem Ruf folgen, sind in einer Gemeinschaft (Umma) zusammengeschlossen und werden Muslime genannt. Das einzige Ziel, das der Gründung dieser Gemeinschaft zugrunde liegt ist, dass sie eine organisierte Anstrengung unternehmen soll, um die Tugend durchzusetzen und geltend zu machen, und das Übel zu verwehren und auszurotten.
 
Wir führen an dieser Stelle einige grundlegende Sittenlehren des Islâm an, die verschiedene Aspekte des Lebens eines Muslims betreffen. Sie decken die umfangreiche Palette des persönlichen sittlichen Verhaltens eines Muslims sowie seine soziale Verantwortung ab.
 
Die Gottesfürchtigkeit
 
Allâh erwähnt sie im Qurân als die beste Eigenschaft eines Muslims:
„[…] Gewiss, der Geehrteste von euch bei Allâh ist der Gottesfürchtigste von euch. […].“ (Sûra 49:13)
 
Bescheidenheit, Sittsamkeit, Beherrschung der Leidenschaften und Begierden, Wahrhaftigkeit, Rechtschaffenheit, Standhaftigkeit und das Halten von Versprechen sind sittliche Werte, die im Qurân immer wieder betont werden. Wir lesen im Qurân:
„[…] Und Allâh liebt die Standhaften.“ (Sûra 3:146)
 
„Und beeilt euch um Vergebung von eurem Herrn und (um) einen (Paradies)garten, dessen Breite (wie) die Himmel und die Erde ist. Er ist für die Gottesfürchtigen bereitet, die in Freude und Leid ausgeben und ihren Grimm zurückhalten und den Menschen verzeihen. Und Allâh liebt die Gutes Tuenden.“ (Sûra 3:133-134)
 
„‘O mein lieber Sohn, verrichte das Gebet, gebiete das Rechte und verbiete das Verwerfliche und ertrage standhaft, was dich trifft. Gewiss, dies gehört zur Entschlossenheit (in der Handhabung) der Angelegenheiten. Und zeige den Menschen nicht geringschätzig die Wange und gehe nicht übermütig auf der Erde einher, denn Allâh liebt niemanden, der eingebildet und prahlerisch ist. Halte das rechte Maß in deinem Gang und dämpfe deine Stimme, denn die widerwärtigste der Stimmen ist wahrlich die Stimme der Esel.‘“ (Sûra 31:17-19)
 
In einer Art und Weise, die das sittliche Verhalten eines Muslims zusammenfasst, sagt das schöne Vorbild der Muslime, der Prophet Muhammad  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken : „Mein Erhalter hat mir neun Anweisungen gegeben: gottesfürchtig zu bleiben, sowohl heimlich als auch öffentlich; gerecht zu sprechen, sei es im Zustand des Ärgers oder der Zufriedenheit; bescheiden zu sein, ob reich oder arm; den Kontakt mit denen aufrecht erhalten, die ihre Beziehung zu mir abgebrochen haben; dem zu geben, der mich zurückgewiesen hat; dass mein Schweigen (von) Denken (begleitet sein soll); dass mein Blick (für mich) eine Ermahnung (sein soll); und dass ich das befehle, was rechtens ist.“
 
Die sozialen Verpflichtungen
 
Die Lehren des Islâm, die die sozialen Verpflichtungen betreffen, beruhen auf Güte und auf der Berücksichtigung der anderen Menschen. Da ein allgemeiner ausdrücklicher Befehl, gütig zu sein, in bestimmten Situationen offenbar ignoriert wird, betont der Islâm bestimmte Handlungen der Güte und definiert die Verpflichtungen und die Rechte verschiedener Beziehungen. Im erweiterten Kreis der Beziehungen besteht unsere erste Verpflichtung gegenüber unserer unmittelbaren Familie - Eltern, Ehemann oder Ehefrau und Kindern, dann gegenüber anderen Verwandten, Nachbarn, Freunden und Bekannten, Waisen und Witwen, den Bedürftigen der Gemeinschaft, den Muslimen, allen Menschen und den Tieren.
 
Die Eltern
 
Achtung vor den Eltern und Fürsorge für sie werden im Islâm nachdrücklich betont und bilden einen wichtigen Teil des Ausdrucks des Glaubens eines Muslims.
 
„Und dein Herr hat bestimmt, dass ihr nur Ihm dienen und zu den Eltern gütig sein sollt. Wenn nun einer von ihnen oder beide bei dir ein hohes Alter erreichen, so sag nicht zu ihnen: ‚Pfui!‘ und fahre sie nicht an, sondern sag zu ihnen ehrerbietige Worte. Und senke für sie aus Barmherzigkeit den Flügel der Demut und sag: ‚Mein Herr, erbarme Dich ihrer, wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein war.‘“ (Sûra 17:23-24)
 
Andere Verwandte
 
„Und gib dem Verwandten sein Recht, ebenso dem Armen und dem Sohn des Weges. Und handle nicht ganz verschwenderisch.“ (Sûra 17:26)
 
Die Nachbarn
 
Der Prophet Muhammad  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken hat gesagt: „Er ist kein Gläubiger, der sich satt isst, während sein Nachbar hungert.“ Und er sagte auch: „Derjenige glaubt nicht, dessen Nachbarn vor seinen Missetaten nicht sicher sind.“
 
Gemäß dem, was im Qurân und in der Sunna des Propheten Muhammad  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken steht, hat ein Muslim seiner moralischen Verantwortung nicht nur gegenüber seinen Eltern, Verwandten und Nachbarn nachzukommen, sondern gegenüber allen Menschen, Tieren und nützlichen Pflanzen. Es ist zum Beispiel nicht erlaubt, Vögel und Tiere zum Zweck des Spieles zu jagen. Genauso ist es nicht gestattet, Bäume zu fällen oder Pflanzen zu vernichten, die Früchte liefern oder nützlich sind, es sei denn, es liegt ein sehr dringender Bedarf vor.
 
Der Islâm bildet hinsichtlich der sittlichen Grundmerkmale ein höheres sittliches System, das aufgrund seiner Wirksamkeit in der Lage ist, der Menschheit zur Ausnutzung ihrer größten Möglichkeiten zu verhelfen. Der Islâm reinigt die Seele von selbstsüchtigem Egoismus, von Tyrannei, Scham- und Disziplinlosigkeit. Er bildet gottesfürchtige Menschen, die sich ihren Idealen widmen, mit Frömmigkeit, Enthaltsamkeit und Disziplin, die mit der Unaufrichtigkeit unversöhnlich sind. Er führt zu sittlicher Verantwortung und fördert die Fähigkeit zur Selbstbeherrschung. Der Islâm ruft zu Güte, Großmut, Barmherzigkeit, Anteilnahme, Frieden, selbstloser Gefälligkeit, gewissenhafter Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit gegenüber der gesamten Schöpfung und in allen Situationen auf. Er nährt noble Eigenschaften, von denen nur Gutes zu erwarten ist.

Verwandte Artikel

Vorzüge des Haddsch und der Umra

  • Unser Weg zu einem vollkommenen Haddsch

    Allâh, der über alles Erhabene, wird denjenigen großzügig belohnen, der den Haddsch in vollkommener Form verrichtet. Hierzu sagte der Prophet Möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken: „…und der fromm verrichtete Haddsch wird ausschließlich mit dem...

  • Die gottesdienstlichen Handlungen des Propheten während der Haddsch: Teil 1

    Der Haddsch ist eine der wichtigsten Ibâdât (gottesdienstl. Handlungen) im Islâm. Sie zu verrichtet heißt, dem Beispiel des Propheten (Möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) wahrhaft zu folgen. Bedauerlicherweise wurden in letzter Zeit Fatwas über häufig...

  • Die Pilgerfahrt (der Haddsch) - Teil 2

    Da die Stammesführer den Streit untereinander nicht beilegen konnten, einigten sie sich darauf, den ersten...